Birgit Loos

Renatas Blick auf die Welt

Renata ging es bestens. Sie wurde niemals müde das zu behaupten. Sie hatte ein herrliches Leben. Besser, als so mancher anderer.

Okay, sie hatte ihre Mutter früh verloren. Bei einem Autounfall. Das passierte. Klar war es schwer, für sie praktisch elternlos aufzuwachsen. Aber sie ist nicht das einzige Kind auf dieser Welt, das von solchen einem Schicksalsschlag getroffen wurde. Unfälle geschehen. Jeden Tag
Ihr Vater musste arbeiten. Er hatte einen verantwortungsvollen Beruf. Weswegen er keine Zeit für seine kleine Tochter hatte. Das war nicht seine Schuld. Viele Väter können sich aufgrund ihres Jobs nicht so um ihren Nachwuchs kümmern, wie sie es sich wünschen.
Renata wuchs bei ihrer Tante Wilhelmina und deren Mann auf. Tami, wie sie sie liebevoll nannte. Eine Zusammensetzung aus Tante und Minna. Tami kümmerte sich rührend um das einzige Kind ihrer Schwester. Einen besseren Mutterersatz hätte sie sich nicht wünschen können.
Es war völlig normal, dass das Interesse ihres Onkels auf seinen beiden Söhnen lag. Väter müssen sich um ihre Stammhalter kümmern. Mädchen sind für sie weniger reizvoll. Erst recht, wenn es sich nicht um die leibliche Tochter handelt. Renata verstand das. Ihr Onkel war freundlich zu ihr, das allein zählte.
Sie war nicht enttäuscht, wenn ihre Vettern an Geburtstag und Weihnachten mehr bekamen als sie. Tami und der Onkel meinten das nicht so. Es war doch nachzuvollziehen, wenn man den eigenen Nachwuchs, dem angenommenen Kind vorzog. Sie hatte zu essen, ein behagliches Zimmer, Spielsachen. Es ging ihr gut. Andere Waisen waren wesentlich schlechter dran als sie.

Später heiratete sie ihren Traummann. Leider stellte sich schnell heraus, dass viele Frauen von ihm träumten. Weshalb er es mit der Treue nicht so genau nahm. Sie gab ihm dafür nicht die Schuld. Es lag am Testosteron. Deshalb konnte er der weiblichen Versuchung nicht widerstehen. Einen blendend aussehenden Mann, wie ihn, den hatte man nicht allein. Sie war stolz und glücklich, dass ihr Ehemann, sich für sie entschieden hatte. Der Tag kam, an dem er die Scheidung verlangte. Sie hatte Verständnis für ihn. Die neue Frau passte im Grunde besser zu ihm. Jeden Tag wurden Ehen geschieden, weil sich die Partner nicht länger verstanden. Sie hatte zwanzig schöne Jahre miteinander verbracht. Was wollte sie mehr. Sie war jung genug, sich ein neues Leben aufzubauen. Sie hatte einen guten Job, verdiente ihr eigenes Geld. Sie kam allein zurecht. Im Gegensatz zu anderen Frauen konnte sie sich glücklich schätzen.

Sie hatte drei fabelhafte Kinder. Oliver lebte in London als Investmentbanker und die Zwillinge Hanna und Nora waren auf dem Weg zur großen Gesangskarriere. Sie war unendlich stolz auf ihren Nachwuchs. Es lag in der Natur der Sache, wenn die drei keine Zeit für ihre Mutter hatten. Sie lebten ihr eigenes Leben. Jeder von ihnen hatte zu tun. Sie beklagte sich nicht. Andere Kinder wohnten bis ins hohe Alter zu Hause, bei den Eltern, hatten keinen Job und ließen sich von den diesen aushalten. Da war es ihr lieber, wenn ihr Nachwuchs eine Beschäftigung hatte. Selbst, wenn sie die drei seit über einem Jahr nicht mehr zu Gesicht bekommen hatte. Auch Telefonate waren selten geworden in letzter Zeit. Aber sie machte ihren drei Lieblingen keine Vorwürfe. Sie verstand vollkommen, wenn diese ihr eigenes Leben hatten. Sie war davon überzeugt, dass die drei sofort zur Stelle wären, sollte ihre Mutter sie brauchen. Sie hatte Geschichten von Kindern anderer Menschen gehört, die sich überhaupt nicht mehr bei ihren Eltern meldeten. Ihr Nachwuchs verhielt sich besser.

Nein, Renata beklagte sich nicht. Sie hatte eine gemütliche Wohnung, einen guten Job. Seit dreißig Jahren war sie Chefsekretärin. Bis vor kurzem war alles in Ordnung gewesen. Sie verstand sich mit dem Seniorchef. Vor Dienstbeginn brachte sie ihm seinen Kaffee, sie erzählten ein bisschen miteinander, bevor jeder von ihnen seiner Arbeit nachging. Sie mochte ihren Job, ihren Chef und das Geld, das sie verdiente. Leider übergab der Boss das Steuer an einen jüngeren Mann. Damit änderte sich für sie alles. Renata beklagte sich nicht. Sie verstand, dass der Neue seine eigene Assistentin mitbrachte. So ein Job, war Vertrauenssache. Und ein junger Mann, wollte jemand in seinem Alter im Vorzimmer haben. Es wurde für sie ebenfalls Zeit, das Ruder abzugeben. Sich auf das Altenteil vorzubereiten. Das konnte sie nachvollziehen.

Renata warf ihr Weinglas voller Zorn an die Wand. Einen Dreck verstand sie. Dieser elende Mistkerl, was erlaubte sich dieser kleine Gernegroß? Sie machte seit Jahrzehnten diesen Job perfekt. Ja, sie ging auf die sechzig zu. Na und! Das neue Mäuschen sah zwar phänomenal aus, war aber ihrer Aufgabe kaum gewachsen. Warum war dieser Kotzbrocken nicht auf den Gedanken gekommen, sie beide zu beschäftigen? Sie hätte das Mädchen anlernen können, um sich dann in ein paar Jahren in den wohlverdienten Ruhestand zu verabschieden. Stattdessen hatte dieser.... Sie atmete tief durch. Ihr Repertoire an passenden Schimpfwörtern reichte für ihre derzeitige Situation nicht aus. Ihr sogenannter Chef, hatte sie in den IT-Bereich versetzt. Ausgerechnet sie, die von Technik so viel Ahnung hatte, wie eine Kuh vom Eierlegen.
„Sie nehmen die Telefonate entgegen und machen die Termine aus. Mehr müssen Sie nicht tun,“ wurde ihr bei Antritt in der Abteilung erklärt. Das hörte sich leicht an. Das Gegenteil war der Fall. Die Anrufer erwarteten eine fachliche Auskunft. Sie hatte keine Ahnung, wie lange ein Termin üblicherweise dauerte. Welche Dauer sie für eine Reparatur veranschlagen sollte. Man ließ ihr keine Zeit, sich einzuarbeiten. Unter dem fortdauernden Druck unterliefen ihr jede Menge Missgeschicke. Dies nahm man zum Anlass, ihr zu kündigen.
Renata war außer sich. Sie versuchte, ihre Kinder zu erreichen. Leider bekam sie weder Oliver noch die Zwillinge an den Apparat. Letztendlich war sie froh darüber. Sie hätte die Drei nur beunruhigt. Wenn etwas Zeit ins Land gegangen war, sie eine Lösung gefunden hatte, war es früh genug, die Kinder zu informieren.

Am Sonntag setzte sie sich in ihr Auto und besuchte, wie jede Woche, ihre Tante Minna, die mittlerweile in einem Heim für betreutes Wohnen lebte.
„Setz dich. Du siehst aus wie drei Tage Regenwetter. Was ist denn los?“ Tami war ihr Leben lang direkt gewesen. Renata schluckte und versuchte, sich herauszureden. Ein sinnloses Unterfangen. Innerhalb kürzester Zeit, hatte ihre Tante die Ereignisse aus ihr herausgekitzelt. Nachdem sie Tami auf den neuesten Stand gebracht hatte, lächelte sie gezwungen:
„Ist nicht so scheußlich, wie es sich anhört. In der heutigen Zeit verlieren viele ihre Arbeitsplätze. Ich bin nicht die Erste. Zum Glück leben wir in einem Staat, wo es ein soziales Netzwerk gibt. Die paar Jahre bis zur Rente werde ich schon überbrücken können.“
Tami lachte krächzend. „Sag bloß, das glaubst du?“
Renata nickte. „Aber ja. Ich werde den Gürtel etwas enger schnallen müssen. Es wird schon werden.“
Sie zuckte vor Schreck zusammen, als ihre Tante die Faust auf den Tisch schlug.
„Sag mal, Renata, bist du noch zu retten? Was muss passieren, bis du es begreifst? Du bist das geborene Opfer. Seit du auf der Welt bist, spielt man dir übel mit. Und was tust du? Du findest für alles und jeden Entschuldigungen.“
Renate sperrte den Mund auf. Welcher Teufel ritt denn ihre Tante?
„Aber was rege ich mich auf. Du bist wie deine Mutter, die hat sich ihr ganzes Leben schöngeredet, bis sie nicht mehr weiterkonnte. Dann hat sie sich in ihr Auto gesetzt und ist an den Baum gefahren. Ohne Rücksicht auf ihre kleine Tochter zu nehmen, die sie bei diesem Ekelpaket von Vater zurückgelassen hat.“
Ihre Nichte wurde leichenblass. „Was redest du da, Tami? Meine Mutter hatte einen Unfall. Und Papa war ein wundervoller, liebevoller Mensch. Er hat uns geliebt, Mama und mich.“
„Schwachsinn! Er wollte an das Geld deiner Mutter. Hat prima geklappt. Nach ihrem Tod hat er das gesamte Erbe durchgebracht. Für dich ist nichts hängen geblieben.“
Renata war empört. So hatte ihre Tante noch nie mit ihr gesprochen.
„Ich höre mir das nicht mehr an, Tami.“
Sie griff nach ihrer Handtasche, versuchte aufzustehen. Tami drückte sie zurück auf ihren Sitz.
„Oh, doch. Du hörst dir das an. Wird Zeit, dass du der Wahrheit in die Augen blickst. Dein Vater hat deine Mutter jahrelang geschlagen. Immer wieder. Mehr als einmal habt ihr beide bei mir Unterschlupf gesucht. Zitternd und frierend. Erinnerst du dich nicht daran?“
Renata schüttelte den Kopf. Sie biss die Zähne zusammen. Tief in ihrem Inneren kamen Bilder in ihr hoch, wie sie mit Mama nachts bei Tami vorm Haus stand und um Hilfe baten. Leise beteuerte sie:
„Das kann nicht sein. Papa hat uns geliebt.“ Sie sagte es zweimal, um sich selbst davon zu überzeugen. Tami aber kannte kein Mitleid.
„Klar, deswegen hat er sich so liebevoll um dich gekümmert, nachdem deine Mutter sich umgebracht hatte.“
„Er musste arbeiten. Männer müssen Geld verdienen. Er hätte für mich gesorgt, wenn er es gekonnt hätte,“ flüsterte sie.
„Pah! Arbeiten! Das war für den doch ein Fremdwort. Er hat das Erbe, seines und das seiner Tochter einkassiert und ist verschwunden. Niemand hat jemals wieder von ihm gehört.“
Renata wollte ihr widersprechen. Doch dann blieb sie stumm. Es stimmte. In ihrer Kindheit gab es nur Tami, den Onkel und ihre Vettern. Sie waren ihre Familie.
Tante Minna schüttelte den Kopf über ihre Nichte.
„Dein Vater war ein Versager. Genau, wie dein Ehemann. Der taugte auch nichts. Aber du hast ständig Entschuldigungen für diesen Casanova gefunden.“
Renata ballte die Fäuste. Jetzt war es genug. Über ihren Geschiedenen wollte sie heute nichts hören.
„Meine Ehe geht dich nichts an, Tami,“ versuchte sie würdevoll zu entgegnen.
Die Tante lachte leise. Sie ging an den Schrank und holte zwei Schnapsgläser und eine Flasche Kräuterschnaps hervor. Renata hasste das Zeug. Aber ihre Tante bestand bei jedem Besuch darauf, einen Schnaps für die Gesundheit zu trinken. Widerwillig tat sie ihr den Gefallen. Es gibt Schlimmeres und es erfreut die alte Dame. Tami kicherte, als ihre Nichte das Gesöff mit Todesverachtung in sich hineinschüttete.
„Wirst du mir jemals sagen, ich soll dir mit dem Zeug vom Leib bleiben?“
Renata hustete. Die alte Frau klopfte ihr hilfsbereit auf den Rücken.
„Hier! Trink noch einen. Auf einem Bein kann man nicht stehen. Du wirst ihn brauchen, ich bin keineswegs damit fertig, dir die Leviten zu lesen, meine Liebe.“
Renata röchelte, weil die Schärfe des Schnapses ihr in der Kehle brannte.
„Bleib mir vom Leib mit diesem Teufelszeug,“ sagte sie mutig.
„Na, geht doch! War das jetzt so schwer?“, kicherte Tami. Sie setzte sich Renata gegenüber, griff nach ihrer Hand und streichelte über ihre Finger.
„Das machst du bei jedem. Allen willst du gefallen. Nie wagst du es, aufzubegehren.“
Ihre Nichte versuchte, sich zu verteidigen, aber die alte Frau ließ sie erst gar nicht zu Wort kommen.
„Ist doch wahr! Wie war das mit deinem Ehemann? Wie oft hast du ihn aufgenommen, nachdem er ausgezogen war? Dreimal?“
„Viermal,“ gab Renata verlegen zu.
„Viermal!“ Tamis Erwiderung hallte durch den Raum. „Mir wäre der Kerl schon beim ersten Mal nicht wieder hereingekommen. Hat er sich jemals bei dir entschuldigt für seine Seitensprünge? Hat er dir einmal gezeigt, wie wichtig du für ihn bist?“
Renata erinnerte sich an die Zeit vor der Scheidung. Nein, nichts dergleichen war passiert. Er kam zurück, sie öffnete die Tür. Er lebte weiter wie zuvor, während sie sich eine Besserung ihrer Beziehung erträumte, die nie erfolgte. Sie tat alles für ihn und er? Er verließ sie erneut, nachdem er seine Wunden geleckt hatte. Sie seufzte. Tami hatte recht. Leider war ihre Tante erst am Anfang ihrer Predigt.

„Ich hätte einiges zu diesem Missgriff von Ehemann zu sagen. Zum Beispiel, dass du dich was den Unterhalt betrifft, über den Tisch hast ziehen lassen.“
„Ich...,“ begann Renate sich zu verteidigen. Doch Tami winkte ab.
„Schon gut, schon gut. Reden wir nicht mehr davon.“
Bevor sie aufatmen konnte, fuhr ihre Tante fort.
„Sprechen wir lieber über den Nachwuchs, den du von diesem Schönling hast. Die sind keinen Deut besser, als ihr Vater.“
„Jetzt ist aber genug! Auf meine Kinder lasse ich nichts kommen.“ Renata sprang empört auf, wollte zur Tür hinausstürmen. Tamis nächste Frage hielt sie auf.
„Wieso bist du bei mir? Wo sind deine Sprösslinge, wenn du sie brauchst?“
Wütend drehte sich Renata zu Tami um. „Meine Kinder haben alle einen Beruf, der sie voll und ganz in Anspruch nimmt. Wenn ich ihre Hilfe benötige, sind sie da. Du wirst mir mein Verhältnis zu ihnen nicht madig reden.“
Tami blieb seelenruhig sitzen, blitzte ihre Nichte an:
„Hast du sie angerufen? Ihnen gesagt, was sie mit dir in dieser Firma gemacht haben? Haben sie sich Zeit für dich genommen, dir zugehört? Hat dir dein erfolgreicher Sohn Hilfe angeboten? Vielleicht sogar einen Anwalt engagiert?“
„Einen Anwalt? Wofür in aller Welt sollte ich einen Rechtsanwalt benötigen?“ Perplex sah Renata ihre Tante an.
Tami verdrehte die Augen. „Ist das denn zu fassen? Na, um gegen die Kündigung zu klagen. Willst du diese Schweine damit durchkommen lassen? Du bist dort seit wie vielen Jahren angestellt? Hast dir nie etwas zu Schulden kommen lassen. Dann wirst du willkürlich von deinem Platz versetzt, an eine Stelle, wo dein Scheitern von Anfang an eingeplant war. Und du? Du schluckst das so mir nichts, dir nichts.“
In Renatas Augen schwammen Tränen. „Was soll ich denn dagegen tun?“
Wieder schlug Tami mit der Faust auf den Tisch, dass die Gläser hüpften. „Kämpfen! Lass dir nicht alles gefallen. Hör auf, dir die Welt schön zu reden, wenn sie das nicht ist. Hab den Mumm zu sagen, bis hier hin und nicht weiter.“
Ihre Nichte sank zurück auf ihren Stuhl. Sie legte den Kopf auf den Tisch und weinte. Tami ließ sie in Ruhe. Es dauerte eine Weile, bis sie sich beruhigt hatte. Irgendwann sah sie nach oben und schluchzte:
„Ich habe allen dreien eine Nachricht hinterlassen, sie mögen mich anrufen. Das war vor drei Tagen. Nichts. Ich habe geheult am Telefon, weil es mir so dreckig ging. Aber keiner von ihnen meldete sich, um nachzufragen, was mit mir los ist.“
„Wird Zeit, dass du deinen Bälgern den Geldhahn abdrehst,“ murmelte Tami.
Renata schluckte mehrfach. Wie man es drehte und wendete, ihre Tante hatte recht. Der Moment, die rosarote Brille abzunehmen, war längst überfällig.
Oliver lebte in London in einer Bruchbude. Von wegen Investmentbanker. Gescheiterter Bankkaufmann, war die richtigere Bezeichnung. Ständig war er in windige Geschäfte verwickelt und pumpte Renata an. Aber er war ihr Goldjunge. Jeder hatte mal eine Pechsträhne. Die Börse war ein gefährliches Pflaster. Man konnte sich schnell verspekulieren.
Was die Zwillinge anging. Deren angebliche Karriere, war ebenfalls eine Farce. Beiden fehlte das Talent, um es auf die große Bühne zu schaffen. Stattdessen hielten sie die Hand auf, damit Renata sie unterstützte.
Sie seufzte. Tami hatte recht. Es wurde Zeit, den Tatsachen ins Auge zu sehen. So konnte es nicht mehr weitergehen.
„Glaubst du, ich könnte einen Prozess gegen meine Firma gewinnen?“, fragte sie zweifelnd.
„Keine Ahnung. Ich bin kein Anwalt. Aber wenn du dich nicht bei einem erkundigst, wirst du es nie erfahren. Solange du den Kopf in den Sand steckst und dir immer wieder vormachst, dir ginge es gut, wird sich für dich nichts ändern. Du wirst ständig neue Niederlagen erleben, dir wird es von Jahr zu Jahr beschissener ergehen, weil alle denken, mit dir kann man es machen. Steh endlich auf und tritt für dich ein.“
Renata fühlte, wie ein Prickeln durch ihren Körper lief. Ja, genau! Sie würde gegen ihre Firma klagen. Ihren Kindern den Geldhahn zudrehen. Die rosarote Brille abnehmen. Sie ergriff das Schnapsglas und trank den Kräuterschnaps auf einen Zug leer. Keuchend holte sie Luft, währen Tami lauthals lachte. Renata hielt ihr das Glas hin: „Schenk ein. Ich kann es heute gebrauchen. Danach suchen wir zwei nach einem Anwalt für Arbeitsrecht.“
Tami grinste. Sie nahm ebenfalls einen Schnaps zu sich.
„Ja. Und anschließend setzt du dich ans Telefon und erzählst deinen Blagen, was passiert ist. Du wirst Ihnen unmissverständlich erklären, dass sie ab sofort für sich selbst sorgen müssen, weil bei dir kein Geld mehr zu holen ist. Die Quelle ist versiegt. Die drei sind alt genug. Du bist ab sofort die wichtigste Person in deinem Leben.“
Renata sah zweifelnd auf ihre Tante. Diese seufzte:
„Trink noch einen Renata, damit du auch daran glaubst.“

© 2014 VisCom Kontaktieren Sie mich