Birgit Loos

Leseprobe Julies Story

Am 15. März ist mein Geburtstag. Zum Glück ist das ein Sonntag, weshalb ich mich problemlos aufteilen kann. Zum Mittagessen und Kaffee bei Mama, Jo und Alex mit deren Frauen und Kindern. Zum Abendessen führt mich Benno zu dem exklusiven Italiener, wo wir am ersten Tag gespeist haben. Mittlerweile habe ich mir eine entsprechende Garderobe zugelegt, dass ich in diesem Nobelschuppen nicht mehr auffalle. Ehrlicherweise muss ich gestehen, dass Benno mir diese Edelgarderobe zu Weihnachten geschenkt hat, weil ich sie mir von meinem mageren Gehalt nicht hätte leisten können.

Jedenfalls freue ich mich wie ein Schneekönig auf unser gemeinsames Dinner. Die Geburtstagsfeier mit meiner Familie verläuft friedlich und harmonisch. Nach dem langen Winter haben wir heute einen wunderschönen, warmen Frühlingstag, dass wir uns spontan entschließen, die Kaffeetafel oben auf der Dachterrasse zu decken. Wir schleppen alle notwendigen Utensilien, wozu auch das Spielzeug für Joanna und Robin gehört, nach oben. Simon und David sind in dieser Beziehung noch pflegeleicht und mit ihrem Mobile zufrieden.
Meine Mutter hat mir eine Nusssahne-Torte gebacken, weil sie weiß, dass ich davon nicht genug bekommen kann. Als es gegen Abend kühler wird, bringen wir als erstes die jüngsten Familienmitglieder nach unten ins Warme und räumen dann noch gemeinsam die Terrasse auf. Danach verabschiede ich mich und fahre in mein Wohnheim, um mich für Benno schön zu machen. Der Kellner führt Benno und mich in ein kleines Separee, wo wir nicht gestört werden können. Gleich darauf bringt er uns zwei Gläser prickelnden Champagner. Ich komme mir vor, als wäre ich ein Supermodel, das von seinem reichen Liebhaber mit allem verwöhnt wird, was diese Welt an Luxus zu bieten hat. Na ja, vielleicht ist das doch etwas übertrieben, aber ich kenne diese Art von Luxus eben nicht und bin jedes Mal schwer beeindruckt, wenn Benno einzig für mich so einen Aufwand betreibt.

Wir prosten uns zu und ich versinke in Bennos rehbraunen Augen, die mich vom ersten Tag an in ihren Bann gezogen haben.
Dann überreicht mir Benno mein Geburtstagsgeschenk. Ich öffne es neugierig und finde einen goldenen Anhänger mit einem leuchtenden blauen Stein.
„Der Stein hat die Farbe deiner Augen“, lächelt Benno mich an. „In deine Augen habe ich mich als erstes verliebt. Sie sind einzigartig.“
„Alex und Jo haben die gleichen Augen“, kann ich mich nicht zurückhalten. „Mama sagt, die haben wir von unserem Vater. Aber Alex sagt, das wäre Quatsch. Jeder könne sehen, dass wir Mamas Augen haben.“

Benno reagiert verärgert. „Julie, ich will den Abend mit dir verbringen. Nicht schon wieder mit deiner Familie. Ich habe dir ein Kompliment gemacht und du schiebst es beiseite als wäre es eine dumme Bemerkung von mir.“

Sofort ergreife ich seine Hand und entschuldige mich bei ihm. Ich freue mich über seine Komplimente. Es ist schön, so umschwärmt zu werden, ich genieße es, auch wenn ich genau weiß, dass meine Augen eben nicht einzigartig sind. Der Abend wird so schön, wie ich es mir vorgestellt hatte. Das Essen ist wunderbar, genau wie der Wein. Doch irgendwann will ich nach Hause. Schließlich habe ich nicht vor meinen Geburtstag in einem Restaurant zu verbringen, sei es auch noch so exklusiv. Das Tüpfelchen auf dem i wird meine Liebesnacht mit Benno in diesem märchenhaften Himmelbett werden, das leider in einem Horrorhaus steht. Aber ich kann ja die Augen schließen, bis wir im Schlafzimmer angekommen sind oder mich nur auf den Mann konzentrieren, dem dieser Horrorschuppen gehört. Leider führt mich Benno nicht gleich ins Schlafzimmer, obwohl ich alle Register ziehe. Er zieht mich in sein Wohnzimmer, lässt mich auf einem dieser antiken Stühle Platz nehmen. Danach geht er in die Küche, um noch eine Flasche Champagner zu holen, während ich auf diesem Folterstuhl sitze, wie ein Fakir auf seinem Nagelbett und mich sehr unwohl fühle. Dieses Haus und seine Einrichtung haben etwas Gruseliges an sich, finde ich. Aber das kann ich meinem Freund nicht sagen, denn Benno ist sehr stolz auf seine antiken Möbel, die noch von seinen Urgroßeltern stammen, wie er mir erzählte.

Gleich darauf ist er wieder zurück und bringt eine bereits geöffnete Flasche Champagner mit. Benno füllt unsere Gläser und reicht mir meines dann mit den Worten: „Julie, ich habe noch eine Überraschung für dich. Ich wollte sie dir hier geben, bevor wir nach oben gehen.“
„Wie, du hast noch eine Überraschung für mich? Das ist doch nicht nötig. Die Kette ist wunderschön und mehr brauche ich nicht. Ich bin ein bescheidenes Mädchen, weißt du“, versuche ich zu scherzen.
„Sei still!“, sagt Benno und drückt mir noch ein Kästchen in die Hand. Etwa noch ein Schmuckstück? Ich blicke etwas verunsichert von dem Kästchen in meiner Hand zu Benno, der mich mit einem liebevollen Lächeln auffordert: „Nun öffne es schon. Ich bin gespannt, was du sagst.“ Ich gehorche ihm und öffne das Geschenk. In dem Kästchen liegt ein Schlüssel. Hilflos blicke ich auf Benno: „Ein Schlüssel?“
Er nickt mir begeistert zu: „Das ist dein Schlüssel für dieses Haus. Ich finde, wir sind schon so lange zusammen, du solltest zu mir ziehen.“ Ich schlucke und sehe mich panisch um. Ich soll zu Benno ziehen? In dieses Haus? Ich soll hier wohnen, tagtäglich? Wo ich mich doch nur im Bad und im Schlafzimmer einigermaßen wohl fühle und das auch nur, weil wir den Himmel an diesem gigantischen Bett herunterlassen und die Welt aussperren.
Ich kann hier nicht wohnen. Das geht gar nicht. Ich bekomme Panik in diesen Räumen, wenn Benno sich nur kurz entfernt. Ich finde es hier einfach nur grässlich, ungemütlich, kalt und verstörend. Das ist nicht meine Welt .„Na was sagst du, Engelchen? Hat es dir die Sprache verschlagen?“ Zumindest die letzte Frage kann ich bedenkenlos bejahen. „Wann ziehst du ein? Deine paar Habseligkeiten, die haben wir Ruck Zuck hier, das dauert nicht lange. Außerdem werden wir zwei auch noch zusammen einkaufen gehen und dir noch ein paar schicke Sachen zum Anziehen kaufen. Dein Kleiderschrank gibt nicht besonders viel her, wie ich gesehen habe. Ich freue mich schon sehr darauf, wenn ich dich tagtäglich verwöhnen darf und jede Nacht mit dir einschlafen kann. Das wird ein Traum werden.“

Und ob! Das wird allerdings ein Traum werden, ein Alptraum. Ich sehe mich um und versuche nur ein Möbelstück, nur einen Einrichtungsgegenstand zu entdecken, der nicht antik ist, der vielleicht, wenn auch nur im entferntesten, meinem Geschmack entspricht. Doch ich finde nichts dergleichen. Noch nicht einmal einen Blumenstock.
Ich muss es Benno sagen. Er sieht mich an, als wäre er der Weihnachtsmann, der mir gerade einen Millionengewinn überreicht. Er redet ununterbrochen weiter, was wir alles hier zusammen unternehmen können und wie toll unser Zusammenleben sein wird, während ich mir panisch überlege, wie ich Benno erklären kann, dass ich hier auf gar keinen Fall einziehen werde und zwar nicht nur, weil ich dieses Haus und sein Mobiliar schrecklich finde, sondern auch, weil wir uns noch viel zu kurz kennen, um schon so weitreichende Pläne zu schmieden.
Bennos Rede zieht an mir vorbei und so merke ich nicht einmal, dass in seiner gesamten Zukunftsplanung meine Familie überhaupt nicht vorkommt. Das wird mir erst sehr viel später bewusst. Fürs Erste atme ich tief ein und aus und sage dann: „Benno! Stopp! Hör sofort auf damit!“
Er starrt mich verletzt an und das Leuchten in seinen braunen Augen erlischt. „Was ist?“ fragt er mich.

„Ich kann das nicht! Benno, ich kann hier nicht leben. Dieses Haus macht mir Angst. All diese dunklen Möbel, die... Ich will hier nicht mit dir wohnen. Es ist ...“Die Ohrfeige trifft mich völlig unvorbereitet. Mit allem habe ich gerechnet, aber nicht damit. Ich halte mir die Wange und sehe Benno fassungslos an. In meinem Kopf höre ich plötzlich Alex schreien: „Lauf, Julie, lauf!“
Ich nicke, so als müsste Alex es sehen. Dann stehe ich auf, nehme meine Handtasche, werfe die Locken über die Schulter und sage mit eisiger Stimme: „Das war es. Das hast du nur einmal gemacht.“

Dann drehe ich mich um und verlasse diesen Horrorschuppen. Draußen renne ich, so schnell es mir mit diesen blödsinnigen High Heels möglich ist, zur nächsten Bushaltestelle. Ich verkrieche mich in die hinterste Ecke des Busses und beiße mir die Lippen blutig, um nicht zu weinen. In meinem Zimmer im Schwesternwohnheim reiße ich mir die Kleider vom Leib und springe unter die Dusche. Ich habe das Gefühl, mich reinigen zu müssen. Noch immer höre ich in meinem Kopf die Stimme: „Lauf! Julie, lauf!“. Nur klingt es dieses Mal verdächtig nach meiner Mutter. Ich schrubbe mich von Kopf bis Fuß und heule dabei wie ein Schlosshund. Dieses erbärmliche Ende meines 21.Geburtstages ist für mich völlig unerwartet gekommen.

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